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Bewerbungen im Zehn-Minuten-Takt für Ältere
- Erstellt: Samstag, 31. März 2012 17:42
In zwei Stunden haben sich rund 60 Hartz-IV- Empfänger bei acht Firmen vorgestellt – das ist „Job-Speed-Dating“.
Aufgeregt warten knapp 60 Langzeitarbeitslose am Mittwochvormittag auf ihre große Chance. Viele der Damen haben ihre Haare frisch gefärbt und sich „in Schale“ geworfen und viele der Herren haben zumindest ein frisch gebügeltes Hemd angezogen. Um zehn Uhr geht es dann los, das „Job-Speed-Dating“ für die ausschließlich mindestens 50-Jährigen. Im großen Saal der IHK-Geschäftsstelle an der Bahnhofsstraße in Zittau sitzen die Bewerber dazu einzeln insgesamt acht Vertretern von hiesigen Unternehmen zu einem kurzen Vorstellungsgespräch gegenüber. Es gibt einen fein ausgeklügelten Zeitplan, wer sich wann mit wem in den kommenden zwei Stunden unterhalten wird. Gewechselt wird alle zehn Minuten. Eine riesige, an die Wand projizierte, Digitalanzeige stoppt die Zeit.
Christl Nöth aus Zittau begrüßt gerade am vorderen der acht Tische ihren ersten potenziellen Arbeitgeber Uwe Wagenitz, Inhaber der Top-Fit-Fitnessstudios in Löbau und Zittau. Der sucht Hilfe im Servicebereich, für die Reinigung und im Büro. Er möchte für diese Arbeiten keine 18-Jährigen haben, sondern „Menschen mit Lebenserfahrung, die in ihrer Persönlichkeit gefestigt sind“. Deswegen macht er bei diesem „Job-Speed-Dating“ mit, das die Jobstationen der ABS Robur in Kooperation mit den Jobcentern Löbau und Zittau und den Unternehmen durchführen. So ähnlich sehen es auch die anderen Chefs hier.
Perspektive 50plus hilft im Netz
Die Bewerber kennen sich von den regelmäßigen Treffen, die in den Jobstationen organisiert werden – innerhalb des bundesweiten Programms „Perspektive 50plus“. Das ist eine Initiative, die Langzeitarbeitslose über 50 Jahren wieder in Arbeit bringen soll. Die Männer kommen vor allem aus handwerklichen und Bauberufen. Die Frauen waren oft in Textilfirmen, hatten aber auch andere Berufe. Bei diesen „50plus“-Zusammenkünften wird gemeinsam der Stellenmarkt im Internet durchforstet. „Wir lesen uns die Anforderungen durch und überlegen, auf wen von uns die zutreffen“, erklärt Christl Nöth später. Die Teilnehmer schreiben auch Bewerbungen, machen Bewerbungstraining und bereiten sich auf Vorstellungsgespräche vor.
Christl Nöth hat mehrere Bewerbungsmappen für heute angefertigt. Eine davon überreicht sie Uwe Wagenitz. Die 59-Jährige ist gelernte Stenotypistin und staatlich geprüfte Betriebswirtin. Von 1994 bis November 2011 hatte sie ihr eigenes Büro vom Lohnsteuerhilfeverein, das sie aus privaten Gründen aufgeben musste. Traurig resümiert sie die letzten Monate ihres vergeblichen Bewerbungsmarathons: „Ich hätte nie gedacht, dass die Arbeitssituation so schwierig ist“. Dabei werden durchaus Fachkräfte gesucht, sagt Roland Stoy, der drei Tische weiter für seine Hartauer Arbeitsvermittlungsfirma auf Arbeitnehmersuche ist: „Gebraucht werden Produktionsmitarbeiter, Altenpfleger und Kräfte für den Tiefbau und den Heizungs- und Sanitärbereich.“ Im Gaststättengewerbe würden Köche, Servier- und Hilfskräfte gesucht. Die Personen, die er heute für geeignet erachtet, wird Roland Stoy dann den betreffenden Unternehmen vorstellen.
Zuverlässigkeit sehen die hier anwesenden potenziellen Arbeitgeber als Priorität an. Sebastian Neumann, Chef einer Oderwitzer Metallfirma, erklärt: „Ich würde gerne den Bewerbern hier eine Chance geben. Schwierig ist aber, herauszufinden, wer wirklich möchte.“ Die Unsitte, „krank zu feiern“, käme heute leider oft genug vor. Christl Nöth ist jedoch überzeugt: „Jeder hier will weg aus Hartz IV.“ Für die „gelernten DDR-Frauen“ seien Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit Selbstverständlichkeiten.
Auch die 57-jährige Renate Blümel, die heute extra aus Oppach angereist ist, sieht es nicht als Problem an, jeden Tag pünktlich um 6.30 Uhr in Oderwitz den Dienst zu beginnen. Die gelernte Weberin stellt sich deshalb zwei Tische weiter Martina Kiesling, der Geschäftsführerin der Oderwitzer Firma FuTex, vor.
Im Lauf des Zehnminutengesprächs fragt sie deshalb: „Was nähen Sie denn genau?“ Als Antwort fallen viele spezielle Arbeitsbekleidungsstücke, aber auch „Babytragetücher“. Renate Blümel bekommt seit 2005 Arbeitslosengeld II, hat sich aber immer weitergebildet. „Mein letzter Lehrgang war zu Dienstleistungen in Küche, Haushalt und Reinigung“, erzählt sie.
Top-Fit-Chef Uwe Wagenitz lotet inzwischen bei Christl Nöth aus, was sie für Fähigkeiten im Büro hat. Die Bewerberin mit dem rot leuchtenden Haar sagt: „Für mich hab ich die Buchführung und Finanzbuchhaltung immer selbst gemacht.“ Ob sie es für Dritte könnte, müsste sie ausprobieren. „Ich bin der Meinung, dass man alles lernt, wenn man es nur tut“, sagt die Oma von fünf Enkeln optimistisch. Sie hätte auch nichts dagegen, noch mal die Schulbank zu drücken und sich fortzubilden.
Bald nächstes Job-Speed-Dating
In dem Moment springt die Zeit auf der eingeblendeten Stoppuhr auf Null. Christl Nöth verabschiedet sich höflich und wechselt für ihr nächstes zehnminütiges Bewerbungsgespräch an den Tisch von Roland Stoy. Sigrid Bindel, die als einer der „Jobcoache“ an der Organisation des heutigen „Job-Speed-Datings“ beteiligt war, resümiert nach anderthalb Stunden zufrieden im Hintergrund: „Die Resonanz der Firmen und Bewerber ist sehr gut.“ Mirko Quauck aus dem Projektmanagement der ABS Robur drückt gegenüber allen Anwesenden seine Hoffnung aus, dass sich aus den heutigen Gesprächen etwas entwickeln kann und die Bewerber „eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten.“ Vielleicht, so seine Hoffnung weiter, gebe es die nächste Veranstaltung dieser Art schon innerhalb des kommenden Vierteljahres. Immerhin sei so ein „Job-Speed-Dating“ für die Zielgruppe der über 50-Jährigen eine einmalige Chance, innerhalb kürzester Zeit und ohne weite Wege bei mehreren Arbeitgebern ihre individuellen Perspektiven am Arbeitsmarkt auszuloten und möglicherweise ein weiterführendes Vorstellungsgespräch zu vereinbaren. Weitere Interessierte am Projekt „Perspektive 50plus“ sollen sich bei ihrem Arbeitsvermittler (früher „Fallmanager“) melden.
Und schon sind wieder zehn Minuten rum. Christl Nöth verabschiedet sich und überlässt dem nächsten Bewerber den Tisch.
Christl Nöth hat ihr Vorstellungsgespräch bei Top-Fit-Chef Uwe Wagenitz. Sie ist eine der über 50-jährigen Hartz-IV-Empfänger/innen, die durch die Jobstationen des Jobcenters in Löbau und Zittau betreut werden. An der Wand (kl. Foto) läuft die Stoppuhr.Fotos: Knorr
(Sächsische Zeitung)